Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie planen eine tolle Veranstaltung, um im besten partizipativen Sinne möglichst viele Menschen anzusprechen. Die Organisation verläuft weitgehend reibungslos, bis auf die üblichen Stolpersteine und deren gleichwohl reizvollen nicht-intendierten Folgewirkungen. Dann ist der große Tag endlich da. Der Ablauf klappt, die Inhalte sowie die Atmosphäre werden von den Teilnehmenden gelobt und trotzdem fragen Sie sich anschließend: Schön, dass so Viele gekommen sind, aber was ist eigentlich mit denjenigen, die nicht da waren? Gemeint sind die sogenannten „99% nicht üblichen Verdächtigen.“
Im Forschungsprojekt Energietransformation im Dialog erarbeiten wir Formate, um über die Energiewende zu sprechen und probieren diese aus. Die Besonderheit ist dabei die Einbindung von KIT-Forschung und gesellschaftlichen Akteuren. Wir verstehen die Energiewende als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Grund genug für uns also, uns mit der eingangs beschriebenen Herausforderung zu beschäftigen. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, gezielt türkischsprachige Bürgerinnen und Bürger in Karlsruhe anzusprechen, um das Thema Energiewende im Alltag zu adressieren. Möglich wurde das Projekt durch die tatkräftige Mitarbeit unserer Kollegin Yaprak Nayir, die türkische Muttersprachlerin ist. Hinzukommt, dass wir auf die „transdisziplinäre Infrastruktur“ des Quartier Zukunft zurückgreifen konnten. In bester Reallabor-Manier werden hier seit 2012 fleißig Kontakte in die Karlsruher Oststadt und darüber hinaus geknüpft, sowohl in der wissenschaftlichen Community als auch in der Stadtgesellschaft. So stand für uns bereits frühzeitig fest, dass wir das Türkische Generalkonsulat in ebenjener Oststadt als Veranstaltungsort favorisieren.
In einem nächsten Schritt beschäftigten wir uns mit der Rahmung der Veranstaltung. Hierzu nahmen wir uns einen ganzen Vormittag Zeit, um über mögliche Bedarfe und Anreize für die Teilnehmenden nachzudenken. Wir fragten uns, mit welchen Aufgaben und Herausforderungen (türkischsprachige) Haushalte in Karlsruhe konfrontiert sein könnten: Hierzu gehört bspw. die Sicherung der Grundbedürfnisse wie Wohnen, welche wiederum mit Energiekosten verbunden sind. Ein weiterer Punkt war die Erziehung und Bildung von Kindern. Hier nehmen Erwachsene eine Vorbildfunktion in der Gesellschaft ein, etwa durch eigenes Handeln und tragen ihrerseits Verantwortung für heutige und zukünftige Generationen. Nicht zuletzt identifizierten wir das Bedürfnis nach Gemeinschaft und sozialem Miteinander, demgegenüber steht wiederum ein eingeschränktes Zeitbudget, etwa durch Erwerbsarbeit. Vor diesem Hintergrund arbeiteten wir Anknüpfungspunkte für uns heraus: Zum einen ging es uns darum, Menschen zusammenbringen, um den sozialen Austausch anzuregen. In puncto Verantwortung und Vorbildfunktion war uns zudem wichtig, konkrete Handlungsmöglichkeiten im Bereich Energiewende und Klimaschutz aufzuzeigen, bzw. diese zu diskutieren. Schließlich ging es auch um praktische Belange, wie die Senkung von Energiekosten durch die Investition in Photovoltaikanlagen beim privaten Hausbau.
Nun musste noch ein passender Anlass, beziehungsweise Rahmen gefunden werden. Hierbei bezogen wir uns den türkischen Feiertag des Kindes.
Aufbauend auf dieser Analyse entwickelten wir das Konzept der Veranstaltung, die am 27.04.2019 stattfand. Neben einem einführenden Vortrag mit kurzen interaktiven Elementen war das Herzstück ein sogenanntes Expert*innen-Café. Dabei konnten sich Interessierte in lockerer Atmosphäre zu den Themen klimafreundlicher Energiekonsum, privater Ausbau von Photovoltaik und Elektromobilität informieren und praktische Fragen vor Ort diskutierten. Der gemeinsame Austausch fand in türkischer und deutscher Sprache statt. Als Expert*in fungierten je eine Person aus der Karlsruher Energie- und Klimaschutzagentur gGmbH (KEK), dem Institut für Verkehrswesen (IfV) am KIT sowie der Solution Solar GmbH. Insgesamt waren rund 30 Personen vor Ort, wobei die Altersgruppe der 30 bis 65 jährigen nach unserer Beobachtung besonders stark vertreten war. Auch hier stellen wir uns im Nachgang natürlich wieder die Frage: Wer war vor Ort, wer nicht und was bedeutet das für unser zukünftiges Vorgehen?
Mit der Veranstaltung haben wir sowohl organisatorisch, als auch inhaltlich ein Stück Neuland betreten. Besonders wichtig für uns war, einen ersten „Testballon“ zu starten, um andere Perspektiven kennenzulernen und weitere Kontakte zu knüpfen. Gegen Ende kamen etwa Vertreter*innen aus türkischen Bürgerschaftsgruppen und dem Generalkonsulat auf uns zu, die sich für die Thematik interessierten und sich offen für zukünftige Aktivitäten zeigten. Zudem wurde im Zuge der Vorbereitungen für uns noch einmal deutlich, wie wichtig die kontinuierliche Arbeit an der Basis durch Reallabore ist, auf die weitere Aktivitäten aufbauen können. So profitierten wir im Vorfeld von den bereits vorhandenen Erfahrungen, Kontakten und Kompetenzen aus Forschung und Praxis. Aus Sicht der Projektleitenden war die Veranstaltung auch in anderer Hinsicht ein kleines Experiment. So musste in der Planung berücksichtigt werden, dass wir selbst nicht über türkische Sprachkenntnisse verfügen, sodass wir ausreichend Zeitslots für Rücksprachen und Übersetzungen einplanen mussten. Insgesamt ziehen wir eine positive Bilanz und denken bereits über zukünftige Aktivtäten nach.
Marius Albiez, Volker Stelzer und Yaprak Nayir
Energietransformation im Dialog - Vom Reallabor zum Karlsruher Transformationszentrum
Ein Projekt der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
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