Genderinklusivität in Reallaboren

von MERT KÖNIG erstellt am 20.07.2022
Was bedeutet Genderinklusivität und warum ist diese in Reallaboren so wichtig? In diesem Blogbeitrag wird die Frage geklärt, was es mit Genderinklusivität in Reallaboren auf sich hat, warum diese so wichtig ist und was wir tun können, damit alle Menschen gleichermaßen an einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel teilhaben können. Mert König gibt aus seiner Expertise und Erfahrung in der queeren Bildungsarbeit [oder: Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt] Praxistipps für eine inklusive Gestaltung von Reallaboren.
 
Toiletten für alle Geschlechter
Toiletten für alle Geschlechter

Was bedeutet Genderinklusivität und warum ist diese in Reallaboren so wichtig?

Genderinklusivität bedeutet zunächst einmal, dass jeder Mensch, unabhängig von seinem Geschlecht, dazugehört und mitmachen darf. Reallabore sollen Räume sein, in denen alle Bürger*innen mitgestalten dürfen. Denn ein nachhaltiger gesellschaftlicher Wandel soll für alle sein und eine gerechtere Welt kann nur durch kollektive Anstrengung erreicht werden. Unterschiedliche Menschen machen zudem unterschiedliche Erfahrungen in ihrem Leben und bringen ihre ganz individuelle Perspektive mit. Diversität kann daher gerade in kreativen Prozessen eine wertvolle Ressource sein. Ziel sollte es also sein, so viele Bedürfnisse, Perspektiven und Interessen wie möglich einzufangen. In Bezug auf die gesellschaftliche Kategorie Geschlecht bedeutet dies, dass unter den Teilnehmenden ein möglichst breites Spektrum an Geschlechtern vertreten ist. Neben Männern und Frauen sollten also auch nichtbinäre, agender, inter*, trans* Personen usw. mitgestalten dürfen. Damit dies möglich ist und gelingt, ist auf einige Dinge zu achten. Im Folgenden werden mögliche Partizipationshürden identifiziert und Strategien für deren Überwindung aufgezeigt.

Grundlagen

Der Weg zu einem inklusiven Reallabor
Was gilt es nun konkret zu beachten, um ein Reallabor inklusiv zu gestalten und wie erreiche ich Menschen marginalisierter Geschlechter? Im Grunde geht es darum, dass sich Menschen aller Geschlechter in Reallaboren wohl und zugehörig fühlen. Nur wie kann dieses Gefühl geschaffen werden? Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn Mechanismen die Menschen ausschließen sind manchmal schwer zu erkennen, da sie sich oft auf einer sehr subtilen Ebene abspielen. Daher ist grundsätzlich Achtsamkeit für Ungleichheiten und Diskriminierungen gefragt. Die eigene Arbeitsweise, Kommunikation und Methoden sollten ständig hinsichtlich ausschließender Mechanismen reflektiert und kritisch hinterfragt werden. Neben einer allgemeinen Empfehlung zu mehr Aufklärung und Bewusstsein über Geschlechtervielfalt möchte ich Ihnen jedoch auch ganz konkrete Strategien für die inklusive Gestaltung eines Reallabors an die Hand geben.

1. Gendergerechte Sprach 

„Gerade wenn Menschen direkt angesprochen werden, sollte auf eine Formulierung geachtet werden,
welche auf die maskuline Form (Bsp.: Mitarbeiter)
oder eine binär gegenderte Schreibweise (Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen) verzichtet.“

 

Eine sehr sichtbare bzw. hörbare Ebene, in der Geschlecht stattfindet, ist unsere Sprache. Über Sprache kommen wir miteinander in Kontakt, über sie erzählen wir uns Geschichten und tauschen uns aus. Sprache soll dabei die Realität vielfältiger Geschlechter so gut wie möglich abbilden und niemanden ausschließen. Bei mündlicher sowie bei schriftlicher Kommunikation sollten daher alle Menschen mitgedacht und angesprochen werden. Hierfür bieten sich entweder genderneutrale Formulierungen (Bsp.: Mitarbeitende), oder aber die Verwendung des sog. Gendersternchens (Bsp.: Mitarbeiter*innen) an. Gerade wenn Menschen direkt angesprochen werden, sollte auf eine Formulierung geachtet werden, welche auf die maskuline Form (Bsp.: Mitarbeiter) oder eine binär gegenderte Schreibweise (Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen) verzichtet.
 

2. Geschlecht in Bildern und Darstellungen
 

Geschlechterstereotype Darstellungen sollten vermieden werden.“ 

Bei der Verwendung von Bildern und Darstellungen sollte ebenfalls darauf geachtet werden, welche Wirkung diese auf betrachtende Personen haben. Geschlechterstereotype Darstellungen sollten vermieden werden. Achten Sie bei der Auswahl und Erstellung von Abbildungen darauf welche Personen zu sehen sind und welche Handlungen dargestellt werden. Reflektieren Sie beispielsweise welche Personen eine erklärende und welche eine zuhörende Rolle einnehmen, welche Personen sich im Mittelpunkt des Bildes befinden und welche eher außen stehen. Seien sie achtsam, welche Eigenschaften von wem verkörpert werden und ob die Farbauswahl möglicherweise Geschlechterklischees reproduziert.

3. Pronomen und Anrede

„So wie das Geschlecht einer Person nicht immer anhand des Aussehens abgelesen werden kann,
so können wir auch nicht auf Anhieb wissen, welche Pronomen eine Person benutzt.“


Wenn wir uns mit und über Menschen unterhalten, benutzen wir oft Pronomen und Anreden. Sprechen wir über eine andere Person, so verwenden wir oft die Pronomen er, wenn es sich um eine männliche Person und sie, wenn es sich um eine weibliche Person handelt. Neben den Pronomen er und sie gibt es jedoch noch eine Vielzahl an weiteren Pronomen wie xe, dey, nim oder hen. Diese werden auch Neopronomen genannt. Ähnliches kennen wir von förmlichen Anreden wie Herr oder Frau. Auch diese werden jedoch nicht von allen Personen verwendet. Um Personen geschlechtsneutral anzuschreiben gibt es vielfältige Lösungen wie z.B. „Guten Tag/ Liebe*r/ Sehr geehrte*r Vorname Nachname“. Bei der mündlichen Ansprache kann einfach der Vor- und Nachname ohne Anrede verwendet werden. So wie das Geschlecht einer Person nicht immer anhand des Aussehens abgelesen werden kann, so können wir auch nicht auf Anhieb wissen, welche Pronomen eine Person benutzt. Daher sollte sich Gedanken gemacht werden, wie Pronomen am elegantesten in Erfahrung gebracht werden können. Bei einem direkten persönlichen Austausch in einer Gruppe bietet es sich an, die Pronomen mit auf das Namensschild zu schreiben und/oder in einer Vorstellrunde mit zu sagen. Beim Schreiben von E-Mails können Pronomen und Anrede in der Signatur und in online Meetings hinter den Anzeigenamen hinzugefügt werden. Um bei der Angabe bzw. der Erfragung von Pronomen und Anrede nicht ausschließend zu wirken, ist es wichtig, dass möglichst alle beteiligten Personen ihre Pronomen bzw. Anrede angeben und nicht nur jene Menschen die, vorausgesetzt sie wollen korrekt angesprochen werden, ihre Pronomen nennen müssen.

Geschlechterinklusion in Partizipationsräumen:

1. Toiletten

In Räumen der Partizipation ist es zudem wünschenswert, dass Toiletten nicht binär in „Männer“ und „Frauen“
Toiletten eingeteilt sind. Damit sich alle Menschen beim Gang auf die Toilette wohl fühlen, sind sog. all Gender Toiletten angebracht.
Hier sind Menschen aller Geschlechter willkommen.

2. Forschungsteam

„Welche Rollen nehmen einzelne Personen (formal oder informal) ein
und welche Machtverhältnisse und Dynamiken entstehen hieraus evtl.?“

Bei der Arbeit mit Bürger*innen sollte sich das Forschungsteam in Bezug auf das Thema Geschlecht ständig selbst reflektieren. Bei der Zusammenstellung des Teams sollte darauf geachtet werden, dass eine möglichst große Vielfalt an Geschlechtern vertreten ist. Auch die Rollen der einzelnen Personen während der Interaktion sollte reflektiert werden. Welche Rollen nehmen einzelne Personen (formal oder informal) ein und welche Machtverhältnisse und Dynamiken entstehen hieraus evtl.? Versuchen Sie eine offene Atmosphäre herzustellen, in der sich alle wohl fühlen und zur Sprache kommen können. Sprechen Sie diskriminierende Aussagen oder problematisches Verhalten unbedingt an und bieten Sie Raum und Gehör für die Betroffenen von diskriminierenden Vorfällen.

3. Sichtbarkeit und Awareness

„Sichtbare Hinweise in den Räumlichkeiten und/oder mündliche Hinweise auf eine offene
und tolerante Kultur können ebenso zu einem inklusiven Partizipationsraum beitragen"

Damit sich Menschen in einem Raum sicher vor Diskriminierungen fühlen, ist es zudem hilfreich sog. Awareness-Strukturen zu etablieren. Hiermit ist gemeint, dass es z.B. bestimmte Personen in der Einrichtung gibt, an die sich bei diskriminierenden Vorfällen und Gleichstellungsanliegen gewendet werden kann. Hierzu gehört aber auch, dass nicht nur einzelne Ansprechpersonen „aware“, also bewusst und achtsam für Diskriminierung sind, sondern auch andere Teilnehmende dazu aufgerufen werden Vorfälle zu melden und sich solidarisch zu Verhalten. Sichtbare Hinweise in den Räumlichkeiten und/oder mündliche Hinweise auf eine offene und tolerante Kultur können ebenso zu einem inklusiven Partizipationsraum beitragen. Es sollte zudem eine Atmosphäre geschaffen werden, in der die Möglichkeit besteht Kritik gegenüber bestimmten Aussagen äußern zu können. Das ist nicht immer selbstverständlich, aber sehr wichtig. Sichtbarkeit und Repräsentation von queeren Identitäten kann zudem zu einem verstärkten Zugehörigkeitsgefühl sorgen.


Erreichen vielfältiger Menschen


Wie können nun Menschen aus marginalisierten Gruppen erreicht und zum Mitmachen angeregt werden? Eine Herausforderung bei der Zusammenarbeit mit marginalisierten Gruppen ist der Aufbau von Vertrauen. Die Ansprache von Schlüsselpersonen der einzelnen Communities kann daher ein wichtiger Tür-Öffner sein. Leitende Personen von Vereinen und Treffpunkten sind häufig gut vernetzt, genießen ein hohes Vertrauen in der Community und erreichen queere Menschen viel einfacher. Zielgruppenspezifische Ansprache auf queeren Kanälen und bei LGBTQIA*-Veranstaltungen können das Interesse wecken. Das Zelebrieren von Diversität bspw. durch Aktionen an queeren Gedenktagen kann eine wichtige Signalwirkung haben. Informelle Veranstaltungen bei denen man ungezwungen ins Gespräch kommt und gemeinsam Spaß hat können wichtige Hürden überwinden. Wie wir gesehen haben können kleine aber doch bedeutende Details zu einem offenen und sicheren Partizipationsraum beitragen. Ein einfaches Rezept für ein inklusives Reallabor gibt es leider nicht, dennoch können wir uns durch stetige Reflexion, Austausch und Achtsamkeit diesem Ziel langsam nähern. Der mühsame Weg lohnt sich in jedem Fall.
 


Inklusive Reallabor-Projekte (kein Fokus auf Geschlechterinklusivität):
- Über das Projekt | Interkulturelle Räume der Partizipation (interpart.org)
- Projekt_TH&F - TRANSFORMATION HAUS & FELD (transformation-haus-feld.de)